Das Sättigungsgefühl

Das Thema der Sättigung habe ich ja bereits in meinem Beitrag über die Energiebilanz und Energiedichte angeschnitten. Ich möchte dieses Thema heute ein wenig vertiefen, da ich mich selbst gefragt habe, wie unser Körper das Hunger- und Sättigungsgefühl eigentlich steuert und was das für unserer Ernährung bedeutet.

Ganz ungedulige Leser können einfach nur die hervorgehobenen Passagen sowie die Zusammenfassung am Ende lesen.
Zuallererst ist zu diesem Thema zu sagen, dass die Forschung zur Entstehung vom Hunger- und Sättigungsgefühl offenbar noch sehr am Anfang stehen. Die Vorgänge sind noch nicht vollständig verstanden und abgeleitete Empfehlungen sind teilweise kontrovers. So ist es sicher nicht verwunderlich, dass ich am Ende dieses Artikels ein wenig von den Empfehlungen/Positionen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGE) abweichen werde.
Die Forschung zur Entstehung vom Hunger- und Sättigungsgefühl stehen noch sehr am Anfang.

Hunger, Sättigung, Appetit

Einleitend möchte ich zunächst einmal die Begriffe Hunger und Sättigung definieren und sie insbesondere vom Apetit abgrenzen. Hierzu finde ich die Definitionen aus Wikipedia sehr passend:
Hunger ist eine unangenehme körperliche Empfindung, die Menschen und Tiere dazu veranlasst, Nahrung aufzunehmen. Die biologische Funktion dieses Reizes besteht darin, die ausreichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen und Energie sicherzustellen. Mit dem Gefühl der Sättigung signalisiert der Körper bei der Nahrungsaufnahme, dass genügend Nahrung zugeführt wurde und die Mahlzeit beendet werden kann. Grundsätzlich dienen Hunger und Sättigung dazu, die menschliche Nahrungsaufnahme zu regulieren und die ausreichende Versorgung des Organismus sicherzustellen. Unter Appetit versteht man einen psychischen Zustand, der sich durch das lustvoll geprägte Verlangen, etwas Bestimmtes zu essen, auszeichnet. Damit unterscheidet er sich als psychologisches Phänomen von dem in erster Linie physiologischen Gefühl des Hungers. Das Gegenteil von Appetit auf eine Speise ist Ekel. Während die Regulation von Sättigung und Hunger im Hyopthalamus erfolgt, entsteht der Appetit im limbischen System. Als kognitiv-motivationales Phänomen wird er stark von den Sinneswahrnehmungen beeinflusst. Sensorische Faktoren wie Aussehen, Geruch, Geschmack, Temperatur und Konsistenz der Speisen spielen hier eine wichtige Rolle.

Funktion und Bedeutung des Sättigungsgefühls

Und hier wird des schon interessant: Hunger- und Sättigung dienen dazu, die ausreichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen sicher zu stellen, aber nicht diese zu begrenzen. Biesalski (siehe Quellen) weißt ausdrücklich darauf hin, dass die Unterbrechung der Nahrungsaufnahme durch das Gefühl der Sättigung lediglich dazu dient die Nährstoffaufnahme zu optimieren und z.B. eine Überlastung des Darmes zu vermeiden.

Hunger- und Sättigung dienen dazu, die ausreichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen sicher zu stellen, aber nicht diese zu begrenzen.

Wir sind als Menschen prinzipiell immer noch an eine Zeit angepasst, in der der Energieverbrauch durch Jagen, Sammeln und Wandern sichergestellt war, während die nächste Nahrungsaufnahme eher als unsicher einzustufen war. Das Anlegen von Energiereserven in Form von Fettdepots in Zeiten des Nahrungsüberflusses war eine wichtige Überlebensstrategie.
Heute leben wir jedoch unter genau gegenteiligen Bedingungen: Der normale Tagesablauf zwingt uns oftmals zum massiven Bewegungsmangel, während wir einem Überfluss an hochkalorischen Lebensmitteln gegenüberstehen. Das zunehmende Übergewicht wird zum Killer.

Das Anlegen von Energiereserven in Form von Fettdepots in Zeiten des Nahrungsüberflusses war eine wichtige Überlebensstrategie.

Satt zu sein ist jedoch wichtig: Es macht einen Großteil unserer Lebensqualität aus, erzeugt ein Wohlgefühl, dient der Befriedigung geschmackvoller Empfindungen und stabilisiert unserer Psyche. Über einen Serotoninanstieg führt die Nahrungsaufnahme zur Stimmungsaufhellung. – Sich satt zu essen macht also glücklich. Wenn wir permanent hungrig sind werden wir unleidlich, misslaunisch und aggressiv.

Satt zu sein ist wichtig: Es macht einen Großteil unserer Lebensqualität aus.

Physiologie der Sättigung

Wie bereits erwähnt sind die genauen Mechanismen der Sättigung und ihr komplexes Zusammenspiel bisher wenig verstanden. Die Regulation von Hunger und Sättigung erfolgen durch entsprechende Zentren in einem Teil des Gehirns, der als Hypothalamus bezeichnet wird und deren Gesamtheit als orexisches Netzwerk bezeichnet wird. Während bei Tieren vor allem die Signale aus dem Magen-Darm-Trakt für die Regulation der Nahrungsaufnahme ausschlaggebend sind, spielen beim Menschen offenbar psychische Faktoren eine übergeordnete Rolle.
Wichtig ist bereits das Timing, denn das Sättigungsgefühl erreicht sein Maximum etwa 30-40 Minuten nach Beginn der Nahrungsaufnahme.
Das Sättigungsgefühl erreicht sein Maximum etwa 30-40 Minuten nach Beginn der Nahrungsaufnahme.
Der wohl wichtigste Reiz zur Erzeugung eines Sättigungsgefühls ist die Dehnung des Magens. Ab einer Füllung von 300-400ml meldet der Magen dem Gehirn, dass er ausreichend gefüllt ist. Zusätzlich erzeugt der Dünndarm nach der Nahrungsaufnahme eine ganze Fülle an Hormonen, der Blutzucker und der Insulinspiegel sowie der Spiegel der Nährstoffe im Blut steigen an.
Ab einer Füllung von 300-400ml meldet der Magen dem Gehirn, dass er ausreichend gefüllt ist.
Eine längerfristige Modulation des Sättigungsgefühls erfolgt zusätzlich durch die Menge des vorhandenen Fettgewebes. Das Fettgewebe produziert Hormone (z.B. Leptin), deren Spiegel im Blut mit der Menge des Fettgewebes ansteigt und das Hungergefühl hemmt. Diese Regulation funktioniert jedoch nur bis zu einem BMI von 30kg/m². Steigt der Leptinspiegel weiter an, wird der Körper resistent und reagiert nicht mehr auf das Hormon. Bei adipösen Menschen versagt also die Regulation durch Fettgewebshormone.
Die Regulation des Sättigungsgefühls durch das Fettgewebe funktioniert nur bis zu einem BMI von 30kg/m², darüber versagt das System.
Auch wenn einige Autoren der Auffassung sind, dass das physische Sättigungsgefühl beim Menschen allein durch die Magendehnung ausgelöst wird, ist es wahrscheinlich eher das fein abgestimmte Zusammenspiel aller Komponenten (Magendehnung, Darmhormone, Insulinspiegel, Nährstoffe im Blut), die das Sättigungsgefühl steuern.

Bedeutung von Makronährstoffen

Ob es im Darm, Leber und Gehirn sogenannte Chemorezeptoren gibt, die die Zusammensetzung der Nahrung im Darm oder der Nährstoffe im Blut erfassen können ist ebenfalls umstritten. Biesalski vertritt die Auffassung, dass die Zusammensetzung sowie der Energiegehalt der Nahrung keinen Einfluss auf das Sättigungsgefühl haben. Fakt ist jedoch, dass ein Abfall des Blutzuckers Hunger bzw. Heißhunger auslösen kann.
Dennoch gibt es Hinweise, dass Proteine besser sättigen als Kohlenhydrate die wiederrum deutlich besser sättigen als Fett.
Offenbar liegt der positive Effekt von Low-Carb Diäten vor allem am hohen Eiweißanteil. Studien haben gezeigt, dass vor allem ein hoher Eiweißanteil in der Ernährung mit einer besseren Gewichtsreduktion und -Kontrolle assoziiert sind. Neben einer besseren Sättigung führt eine hohe Eiweißaufnahme zusätzlich zu einer stärkeren Fettverbrennung, einer gesteigerten Wärmeerzeugung (Thermogenese) und hilft zudem dabei die fettfreie Magermasse (Muskulatur!) zu erhalten oder aufzubauen. Positiv auf die Sättigung scheinen sich zudem Milchprodukte und das darin enthaltene Calcium auszuwirken.

Studien haben gezeigt, dass vor allem ein hoher Eiweißanteil in der Ernährung mit einer besseren Gewichtsreduktion und -Kontrolle assoziiert sind.

Einfluss der Nahrungsbeschaffenheit

Betrachtet man die Nahrungsbeschaffenheit, so haben Flüssigkeiten nur einen minimalen bis keinen Sättigungseffekt. Sehr kalorienreiche Getränke erzeuge nur eine kurze Dehnung des Magens ohne ausreichendes Sättigungsgefühl. Ein viertel Liter Wasser hat den Magen innerhalb von 10 Minuten wieder verlassen und auch Suppen erzeugen nur 10-20% des Sättigungsgefühls einer festen Mahlzeit.

Einfluss der Häufigkeit der Nahrungsaufnahme

Fakt ist: Um uns satt zu essen müssen wir den Magen mit 300-400ml Inhalt füllen. Viele kleine Mahlzeiten führen zu einer höheren Nahrungsaufnahme. Eine optimale Mahlzeitenzahl am Tag gibt es wahrscheinlich nicht. Unter Berücksichtigung des Insulinprofils (ein hoher Insulinspiegel nach dem Essen hemmt die Fettverbrennung) ist eine Beschränkung der Nahrungsaufnahme auf zwei bis drei größere Mahlzeiten jedoch sicher sinnvoll.

Eine Beschränkung der Nahrungsaufnahme auf zwei bis drei größere Mahlzeiten ist sicher sinnvoll.

Verhaltenspsychiologische Aspekte

Wie bereits angeführt haben beim Menschen verhaltenspsychiologische Aspekte einen übergeordneten Einfluss auf unser Essverhalten. Kognitive Reize können das Gefühl von Hunger und Sättigung  vollkommen übspielen.

Kognitive Reize können das Gefühl von Hunger und Sättigung vollkommen übspielen.

So können psychische Einflüsse wie Stress, negative Emotionen oder schlicht die erlernten Essgewohnheiten die Nahrungsaufnahme maßgeblich beeinflussen. Das Befriedigen von Essgelüsten kann sich durch den folgenden Belohnungseffekt zur Gewohnheit bis hin zur Sucht entwickeln. Besonders kalorienreiche Lebensmittel führen zu einer Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin der mit Belohnung und Wohlgefühl gleichzusetzen ist.
Einen starken Einfluss auf das Sättigungsgefühl haben das Aussehen, die Konsistenz und der Geschmack der Lebensmittel. So essen die meisten Menschen, unabhängig von der Portionsgröße bis sich der Teller sichtbar leert.
Wir neigen dazu das Sättigungsgefühl zu ignorieren, wenn wir einem großen und vielfältigen oder neuartigem Angebot sehr schmackhaft aussehender Speisen gegenüberstehen. Ein reiches Buffet animiert so zu übermäßigem Essen.
Auch der Geschmack spielt eine wichtige Rolle. Menschen und Ratten essen deutlich mehr wenn sie die typische sehr wohlschmeckende „Cafeteria Diät“ aus fettigen, süßen Speisen serviert bekommen.
Auch unsere Gesellschaft spielt eine entscheidende Rolle. Speisen wir im Kreis der Familie oder Freunde so essen wir deutlich mehr und deutlich länger. Auch ein guter Esser auf dem Platz neben uns animiert uns selbst mehr zu essen.
Abschließend sollten wir uns auf das Essen und die damit verbundenen Empfindungen konzentrieren, damit wir nicht nebenbei essen ohne es zu merken.

Zusammenfassung

Als Menschen sind wir immernoch an ein Leben in ständiger Bewegung und Nahrungsknappheit angepasst, leben jedoch in einer Umgebung mit einem Überwiegen an Bewegungsmangel und einem Überangebot an Nahrung. Die Anpassung an diese Verhältnisse ist ein ständiger Lernprozess.

Folgende Erkenntnisse/Empfehlungen lassen sich für uns aus diesem Artikel für die eigene Ernährung ableiten:

  • Esst langsam.
  • Nehmt Euch Zeit für das Essen und genießt bewusst.
  • Macht beim Essen kleine Pausen und achtet bewusst darauf, ob ihr satt seid.
  • Esst nicht, wenn Ihr schlecht gelaunt oder gestresst seid.
  • Nehmt pro Mahlzeit mindestens 300-400ml oder Gramm Nahrungsvolumen zu Euch.
  • Bevorzugt proteinreiche Mahlzeiten mit geringer Energiedichte.
  • Verwendet regelmäßig fettarme Milchprodukte.
  • Meidet flüssigen Kalorien (Softdrinks/Säfte/Alkohol/Suppen etc.).
  • Beschränkt die Häufigkeit der Mahlzeiten auf zwei bis drei am Tag.
  • Nehmt Euch lieber kleine Portionen und verwendet kleinere Teller. Wenn man trotzdem nicht satt sein sollte ist es besser lieber nochmal nachzunehmen.
  • Meidet fettige, süße Speisen.
  • Begrenzt bei sozialen Ereignissen die Zeit für das Essen.
  • Orientiert Euch bewusst nicht an den guten Essern am Tisch.
  • Überprüft kritisch Eure eigenen Essgewohnheiten und verändert sie gegebenenfalls.
  • Vorsicht an Buffets oder reich gedeckten Tischen mit großem, vielfältigem Angebot!
  • Vorsicht wenn das Essen ganz besonders gut schmeckt!

Will man abnehmen ist ganz besonders die Reduktion der Essensmenge bei Beibehaltung der bestehenden Ernährungsgewohnheiten (z.B. im Stil einer FDH) alles andere als zielführend. Viel wichtiger ist die Veränderung der Nahrungszusammensetzung und die Modifikation etwaiger ungünstiger Gewohnheiten.

Zum Abschluss

Dieser Artikel orientiert sich in seinen Ausführungen an den grundlegenden Ernährungsgewohnheiten, wenn man sein Gewicht reduzieren oder halten möchte. Wichtig ist vor allem, dass die Ernährung im Großen und Ganzen stimmt. Man sollte ab und zu durchaus auch sündigen und ohne schlechtes Gewissen oder Blick auf die Kalorien genießen können. Schließlich geht es hier um ein GUTES und gesundes Leben!

Achtung!

Eine eiweißreiche Kost ist nicht für Patienten mit Nierenschädigung geeignet! Ist eine Nierenschädigung oder ein Diabetes mellitus bekannt sollten Sie vorher unbedingt mit ihrem behandelnden Arzt sprechen!

Quellen:

Biesalski HK (Hrsg.),Bischoff SC(Hrsg.)/Puchstein C(Hrsg.)(2010):
Ernährungsmedizin. Nach dem neuen Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer.
(4.Auflage), Stuttgart G.Thieme.

Allgemeine Links zum Thema:
Wikipedia-Artikel zum Sättigungsgefühl
Wikipedia-Artikel zum Hungergefühl
Wikipedia-Artikel zum Appetit

Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE
Interview mit Prof. Pfeiffer in der Frankfurter Rundschau

Wissenschaftliche Artikel (Abstracts auf pubmed):
Breakfasts Higher in Protein Increase Postprandial Energy Expenditure, Increase Fat Oxidation, and Reduce Hunger in Overweight Children from 8 to 12 Years of Age.

Impact of yogurt on appetite control, energy balance, and body composition.

Consuming High-Protein Soy Snacks Affects Appetite Control, Satiety, and Diet Quality in Young People and Influences Select Aspects of Mood and Cognition.

Controversies surrounding high-protein diet intake: satiating effect and kidney and bone health.

Dietary protein – its role in satiety, energetics, weight loss and health.

The effects of high protein diets on thermogenesis, satiety and weight loss: a critical review.

The effects of consuming frequent, higher protein meals on appetite and satiety during weight loss in overweight/obese men.

Protein, weight management, and satiety.

Dietary whey protein influences plasma satiety-related hormones and plasma amino acids in normal-weight adult women.

Higher protein intake preserves lean mass and satiety with weight loss in pre-obese and obese women.

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